Last Updated on 16. Juni 2020

Eine neue Ausgabe von “Meet the Londoner” und heute mit Paul Talling, der seine Faszination für verfallene Gebäude in London in “Dereclict London” bündelt und anderen Interessierten die “lost spaces” in Spaziergängen durch die Stadt und in mehreren Büchern näher bringt. Es ist mir eine besondere Freude, dass ich Paul für ein Interview gewinnen konnte, denn ich teile seine Leidenschaft für dieses Thema. Viel Spaß beim Lesen und entdecken unbekannter Orte in London.

Hi Paul, erzähl’ doch mal ein wenig über dich.

Wer bist du?

Paul Talling, Autor, Fotograf und Tour Guide

Hast du immer in London gelebt?

Ich bin in Salisbury geboren und danach ein wenig umhergezogen. Die Musikszene brachte mich nach London.

Wo in London wohnst du?

Südlich vom Fluss.

Paul Talling über “Derelict London”

Wann hast du mit “Derelict London” gestartet und was war die Motivation dahinter?

Früh morgens an einem Frühlingsmorgen 2003 ist mir eine verlassene Kerzenfabrik in der Battersea Gegend aufgefallen, die letztendlich der Abrissbirne zum Opfer fiel. Das faszinierte mich. Ich begann nach anderen verlassenen Gebäuden Ausschau zu halten und mein Interesse wurde zu einer Besessenheit. Ich ging mit der Kamera in der Hand durch die Straßen und richtete eine Website ein – derelictlondon.com. Einige Leser schickten mir per E-Mail Kommentare mit ihren Geschichten über die Gebäude, schlugen neue Ideen für Orte vor, die ich fotografieren sollte, und viele Leute begleiten mich auf meinen regelmäßigen Spaziergängen durch London, die alle in geselligen Zusammenkünften im Pub enden und beweisen, dass das Interesse an diesem Thema größer ist, als ich je erwartet hätte.

Welche Produkte und Services bietest du an?

Ich habe vier Bücher geschrieben – alle über Londons Sozialgeschichte, begleitet von meinen Fotografien. Es gibt zwei Ausgaben von Derelict London plus eins über Londons verlorene Flüsse und das letzte, das veröffentlich wurde, heißt London’s Lost Music Venues. Ich organisiere Spaziergänge zu einem losen Thema aus den Büchern und rund um die Sozialgeschichte und versuche dabei auch Film- und Musikvideodrehorte einzubinden.

Welche deiner Touren magst du am liebsten?

Ich liebe sie alle gleich. Ich habe über 20 verschiedene Touren und verändere sie immer, so fühlt sich jede Tour neu an. Ich habe immer einen Lieblingsplatz für das Frühstück vorher und ein Pub für danach, in dem ich Leute kennengelernt habe, was für den örtlichen Klatsch hilfreich ist. Viele der Tour Teilnehmer gönnen sich danach gerne ein paar Drinks an diesen Orten, weil sie nicht voller Touristen sind.

Wie oft bist du unterwegs und entdeckst verlassene Gebäude?

Ich laufe mindestens ein paar Mal pro Woche zufällig umher. Manchmal finde ich nichts, und selbst wenn ich etwas finde, kann der Zugang schwierig sein. Die Gebäude sind in der Regel gegen Vandalismus und Brandstiftung gesichert. Wenn es eine Möglichkeit gibt, an einem Tag hineinzukommen, könnte es am nächsten Tag schon gesichert sein. Es geht nur darum, Glück zu haben und dann die Gelegenheit zu ergreifen. Manche Orte können extrem gefährlich sein – nicht nur der physische Zustand des Gebäudes, sondern auch das, was darin lauern könnte, wie weggeworfene Spritzen oder feindliche Bewohner… Deshalb mache ich es nur auf eigene Faust. Auf den Rundgängen sehen wir uns nur die Außenseiten der Gebäude an.

Gibt es eine offizielle Anzahl verfallener Gebäude in London?

Nein, gibt es nicht. English Heritage hat ein “Buildings at Risk Register” und darin befinden sich hunderte in London, aber nicht alle sind verfallen und natürlich sind die, die sie listen von architektonischem Interesse. Es ist ein sich ständig veränderndes Szenario. Es werden jeden Monat viele Häuser, Pubs, Geschäfte, Warenlager usw. geschlossen, dann werden viele renoviert oder abgerissen. Es ist schwer, da den Überblick zu behalten. Meine Arbeit ist nie getan.

Was fasziniert dich an “lost places”?

Das Unheimliche und die Ruhe und das Staunen darüber, was dort geschah, als diese Orte ihre Blütezeit hatten und voller Leben waren.

Welches ist dein liebstes verfallenes Gebäude und warum?

Die Millennium Mills in Silvertown ist mein Lieblingsgebäude. Es befindet sich neben dem London City Airport und den überflüssig gewordenen Docks. Es ist voll mit altem Industrieerbe und moderner Sozialgeschichte gleichermaßen. Vom Dach aus hat man auch großartige Ausblicke!

Erbaut in den 1930ern war es einer der größten Getreidemühlen Komplexe in London. Allein diese Mühle hatte eine Leistung zur Herstellung von Mehl für 120 Millionen Brote pro Jahr. Aber nachdem die Industrie in den Docklands während der 1980er Jahre zurückgegangen war, wurden die Mühlen 1992 endgültig geschlossen.

Seitdem ist das Gebäude häufig in Filmen und Filmen zu sehen, die eine Kulisse für den städtischen Verfall suchen – jüngste Beispiele sind Paddington 2 und The Man From U.N.C.L.E. sowie Musikvideos von Künstlern wie Orbital, Coldplay, den Arctic Monkeys und Snow Patrol. Es wird vermutlich in ein neues Geschäfts- und Unternehmenszentrum umgewandelt werden, mit 3.000 Häusern, die auf benachbartem Land gebaut werden sollen.

Welche Gefühle lösen diese Gebäude in dir aus?

Traurigkeit

Wie entdeckst du neue Gebäude?

Ich bekomme ein paar Hinweise von meinen Lesern und Spaziergängern, aber oft mache ich den ganzen Tag über zufällige Spaziergänge und stolpere über verlassene Gebiete.

Du hast noch zwei Seiten über die verloren Flüsse Londons und verlorene Musikorte. Wie unterscheiden die sich von Derelict?

Es dreht sich alles um ein “verlorenes London”-Thema. London wurde um viele Flüsse herum gebaut, aber viele wurden überdeckt und in Abwasserkanäle umgewandelt, daher schrieb ich das Buch “London’s Lost Rivers”, um dies hervorzuheben. Früher habe ich in Londoner Pubs und Clubs für Bands geworben und habe so viele Veranstaltungsorte verschwinden sehen, so entstand mein letztes Buch. In Londons Lost Music Venues geht es um Orte, an denen von den 1950er Jahren bis heute Live-Musik gespielt wurde.

Viele dieser Orte, an denen The Sex Pistols, Marc Bolan, The Who, David Bowie, Iron Maiden usw. spielten, sind oft in Vergessenheit geraten.  Später im Jahr habe ich eine Buchveröffentlichungsparty im Plattenladen Rough Trade, wo ich einen Vortrag halte und die Punkrock-Legende Johnny Moped, der früher an vielen der verlorenen Orte Auftritte hatte, einige Lieder spielt (deutsche Leser wird es vielleicht interessieren, dass Johnny mit den Toten Hosen auf ihrem kürzlich erschienenen Album Learning English Lesson Two aufgetreten ist).

Paul Talling über London

Was ist ein Must-See in London?

Live Musik in einem kleinen Club oder Pub, z.B. im  100 Club, Dublin Castle oder New Cross Inn.

3 Wörter, um London zu beschreiben?

Etwas für jeden

Wie verbringst du einen perfekten Tag in London?

Einfach umherlaufen ohne Plan

Wohin gehst du für ein gutes Frühstück?

Ich meide die Hipsterdinger oder Starbucks und gehe wenn es möglich ist, zu old school Cafés wie Frank’s Café in Limehouse, das schon seit den 1960ern von der gleichen italienischen Familie geführt wird.

Deine Lieblingsbar?

Zu viele, um zu alle zu nennen, aber “The Hole in the Wall” neben der Waterloo Station ist eine meiner liebsten. Ich besuche viele großartige Kneipen im Osten Londons, wie das Old Ship in Limehouse und das Callaghann’s in Poplar. Auch die Schankstube der Brauerei Huck in Silvertown ist großartig.

Das beste Museum ist…?

Museum of London in den Docklands.

Lustiges über Paul

Wann kommt die Milch in den Tee? Zuerst oder zuletzt?

Zuletzt

Deine Lieblingsfarbe?

Schwarz

Bester Ratschlag, den du je bekommen hast?

Lebe das Leben in vollen Zügen, aber sei nicht grausam

London ist am schönsten, wenn… ?

Es früher Morgen und neblig ist

Wie viele Fotos von verfallenen Fotos hast du schon gemacht?

15000

Wenn du super reich wärst und könntest eins der verfallenen Gebäude retten, welches würdest du wählen?

Georges Diner in Silvertown. Das war ein Café für Arbeiter, das 2005 geschlossen wurde, um Platz für ein umfassenderes Sanierungsprogramm zu schaffen. Als dieses Projekt jedoch nicht zustande kam, wurde das Diner dem Verfall überlassen. Es sieht aus wie ein umgebautes Haus, aber es birgt eine Menge Erinnerungen für Menschen, die dieses Gebiet vor der Sanierung kannten. Da die Bevölkerung in diesem Gebiet rasch wächst, wäre es schön, wenn der Ort ein Comeback feiern könnte, aber die Chancen dafür sind gering, da die Bauträger immer noch Pläne haben, es im Rahmen des Projekts um die Millennium-Mills abzureißen.

Lieblings Tube Line?

Die Overground (die ‘Ginger’ line)

Derelict London in Social Media

Um mehr über Paul und seine Touren zu erfahren, schau mal auf seiner Webseite Derelict London vorbei. Auch zu den verloren Flüssen Londons und zu den alten Musikhallen hat er separate Seiten eingerichtet.

Lieber Paul, danke für deine Zeit und das Mitnehmen an einige “derelict places” in London. Ich freue mich, dich bald auf einer deiner Touren persönlich kennenzulernen.

Wie ist das bei dir? Stehst du auf “lost places”? Hast du schon mal welche in London entdeckt? Warst du vielleicht sogar schon bei Pauls Touren dabei? Erzähl mal in den Kommentaren unter diesem Post.

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